Ich bin zurück von Brüssel, es war super! In diesem Eintrag schreibe ich über "nos amis belges". Der Universitätschor von Louvain-la-Neuve besteht erst seit 4 Jahren, was sich auch in fehlender Struktur und Organisation bemerkbar gemacht hat. Alle Beteiligten kamen, wann es ihnen passte, oder auch nicht. So waren wir erst für die Hauptprobe vollständig. Auch die musikalische Qualität hat uns ziemlich erschreckt, offenbar waren die Carmina Burana wirklich am oberen Limit ihrer Möglichkeiten.
Nun wissen wir unseren Dirigenten wieder voll zu schätzen. Die Dirigentin hat nicht dirigiert, sie hat zur Musik getanzt, sich also danach gerichtet. Einmal hat sie auch gesagt, dass sie nicht gerne Einsätze gebe und die Instrumente sowieso selber schauen sollen. Wir sahen uns mit einer trägen Masse ihrer Choristen konfrontiert, die nach Belieben zu tief sang, beschleunigte, langsamer wurde und alle dynamischen Feinheiten ignorierte. Wir hörten natürlich bei jeder solchen Passage die Stimme unseres Dirigenten im Kopf, der uns eingebläut hatte, worauf wir an den heiklen Stellen zu achten hätten. Er hatte einen weiten Teil sogar soweit gebracht, dass wir grosse Teile auswendig singen. Bei der belgischen Dirigentin wäre das sinnlos, gibt sie doch keinerlei Zeichen, die man sehen sollte.
Die fünf Perkussionisten waren super, auch wenn sie sich zum Teil etwas aufgeregt haben, wenn die Dirigentin nicht einmal mehr so tat, als würde sie den Takt schlagen. Wie sollen so drei Instrumente auf den Schlag gleichzeitig spielen? Die Solisten waren etwas mangelhaft, man muss aber auch ohne Überheblichkeit eingestehen, dass der Chor nur sehr bescheidene Mittel zur Verfügung hatte (ich sehe als Kassiererin, wie viel das eigentlich alles kostet!).
Nach einer katastrophalen Hauptprobe haben wir (am gleichen Abend - komische Idee) das Konzert gegeben. Es war in Ordnung. Hätten wir so bei uns gesungen, wären wir unbefriedigt gewesen, aber nach dieser Hauptprobe waren wir sehr zufrieden. Aber auch hier wieder hat die Organisation versagt. Sie haben tatsächlich zu viele Billets verkauft! Leute, die ihr Billet schon lange bezahlt hatten, konnten nicht mehr hereingelassen werden! Das war recht beeindruckend, bietet die Aula Magna doch Platz für 1100 Personen.
Es wäre super, wenn wir die Métropole auch füllen könnten. Aber die Bedingungen sind schon ganz anders: in Louvain-La-Neuve gibt es wohl zwei mal im Jahr ein solches Event, während in Lausanne jede Woche 4-5 Konzerte stattfinden. Louvain-La-Neuve ist ein riesiger Campus, der erst seit 30 Jahren besteht. In Belgien wird die Zweisprachigkeit als grosses Problem empfunden, Flamen und Wallonen wollen nichts miteinander zu tun haben. So verjagte die traditionsreiche Universität in Leuven/Löwen/Louvain die französischsprachigen Professoren und Studenten, worauf Louvain-La-Neuve aus dem Boden gestampft wurde. Die ganze "Stadt" ist im gleichen Backsteinstil gebaut, es leben im Moment 50% Studenten und 50% andere Bewohner dort. Ich hatte sehr stark den Eindruck eines Ghettos, ich möchte nicht dort studieren. Aber sie haben eine interessante Art, ihre WG's zu vergeben. Die meisten Studentenwohnungen (sog. Kot) sind Kot à projet. Das bedeutet, dass alle WGler ein gemeinsames Projekt im weiteren Sinn haben. So gibt es eine Impro-Gruppe, Tanz, Arbeit mit Behinderten, Warcraft etc. etc. Die Idee gefällt mir sehr gut, so hat man mindestens ein gemeinsames Interesse.
Jedenfalls war der kulturelle Einblick sehr interessant. Wir alle sind gespannt auf die Proben hier in Lausanne und darauf, wie unser Dirigent mit der Situation umgehen wird. Auf jeden Fall sind wir froh, dass "nos amis belges" beim Konzert in der Métropole nicht mitwirken.
Vorauskommentar
Ist doch immer schön, feststellen zu können, wieviel besser man selber ist. Elisa
Submitted by Elisa
on Tue, 2009-02-10 - 19:10
genau! :-)
Wir haben auch alle hart dafür gearbeitet.
Submitted by Vera's Old Posts
on Wed, 2009-02-11 - 17:42
Bruxelles
jetzt habe ich wieder meinen Comment verloren. Vielleicht ist er noch in der Pipeline, sonst muss ich wieder anfangen. Elisa
Submitted by Elisa
on Wed, 2009-02-11 - 21:03
Bruxelles
Also noch einmal: ich kenne Bruxelles von den 1980/1990 Jahren - leicht schläfrig und angestaubt. Das war vor den EU-Zeiten. Aber auch ich will wieder einmal hingehen. B. ist die Stadt mit der grössten Dichte an Gourmetrestaurants pro m2 und pro Einwohnerzahl; und auch in Sachen Schokolade sind sie die Meister, nur "haut de gamme", die Vulgaritäten überlassen sie uns Schweizern. Und "moules/frites hat längestens die Welt erboert. Elisa
Submitted by Elisa
on Wed, 2009-02-11 - 21:06
Kot und Kot à projet
Ums Himmels willen: anstatt mehrsprachig friedlich zu leben und das Leben zu geniessen, macht man aus allem ein Problem, damit man eine Projektgruppe bilden kann, die alles solange zerredet, bis aus einem Problem zehn geworden sind. Ich bin froh, dass du in Deinem Studio davor gefeit bist. Elisa
Submitted by Elisa
on Wed, 2009-02-11 - 21:11
Ohje...
... da hast Du Dich bei Deinen mündlichen Schilderungen über den Chor ja sehr zurückgehalten. Euer Dirigent ist wirklich nicht zu beneiden. Vielleicht bezahlt Ihr den amis belges aus der Chorkasse einen Kaffee in der Beiz nebenan, während Ihr singt. ;-)
Submitted by Hans
on Sat, 2009-02-14 - 11:31
Diplomatie
Natürlich gehts nicht ohne, besonders im grossen weiten Netz! We'll see
Submitted by Vera's Old Posts
on Fri, 2009-02-20 - 11:31
Konzert
Wie dem auch immer sei, Lili und ich freuen uns aufs Konzert. Wer ist da aus Bern noch alles dabei? mieten wir einen Autocar? und überhaupt: wie sind wir eingefädelt? Ich weiss immer noch nicht, wie man das Werk richtig ausspricht: Carmiina Buraana? Caarmina Buraana? Caarmina Buurana? Carmiina Buurana? Der Möglichkeiten sind verwirrend viele. Elisa
Submitted by Elisa
on Sat, 2009-02-21 - 19:16
Aussprache
Carmina mit Betonung auf dem ersten (kurzen) a und Buraana! :-) Für die Organisation nehmen wir wohl besser das altmodische Telefon zur Hand.
Submitted by Vera's Old Posts
on Sat, 2009-02-21 - 19:57
Danke
Jetzt wissen wir es. Organisation ist Sache der Konzertbesucher; Du musst Dich aufs Singen konzentrieren. Ich werde mal in den Spiegel mailen. Elisa
Submitted by Elisa
on Wed, 2009-02-25 - 12:36